Kooperative Gesamtschule Kirchberg: Ausonius-Gymnasium und Ausonius-Realschule plus


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16.05.2014

Zeitzeugen

Artikel aus der Rhein-Hunsrück-Zeitung vom 04. Mai 2014 von Gisela Wagner (Mitarbeiterin der RHZ):

Kirchberg: Holocaust-Überlebender zu Gast in der KGS Kirchberg

Kirchberg - Diesen Schultag werden einige Schüler der Kooperativen Gesamtschule (KGS) Kirchberg so schnell nicht vergessen. Es ist ein ganz besonderer Tag, denn sie haben einen Zeitzeugen zu Gast: Harry Raymon, der 1926 als Kind der jüdischen Kaufmannsfamilie Heymann in Kirchberg geboren wurde, besucht sie in der Schule.

Es gibt Kaffee, einen selbst gebackenen Kuchen und Plätzchen. Der Schulleiter Wolfgang Altmayer sitzt mit am Tisch. Er erinnert sich noch genau an seine kleine Rolle im Film "Regentropfen". Der Spielfilm wurde 1981 gedreht, Harry Raymon trat als Koregisseur auf. Der Film schildert seine Kindheit in Kirchberg bis zur erzwungenen Emigration.

Die etwas andere Geschichtsstunde beginnt mit einer kleinen Lesung. Harry Raymon liest zur Einführung ein Kapitel aus seinem Manuskript für ein Buch, das den Titel "Aus einer anderen Zeit" tragen soll. Leider hat sich bisher noch kein Verleger dafür gefunden, bedauert der Autor.

Der Kontakt zu Harry Raymon kam durch das Studien- und Begegnungszentrum für das Landjudentum in Laufersweiler und Doris Wesner, eine kompetente Kennerin der jüdischen Geschichte im Hunsrück, zustande. In der ehemaligen Synagoge der jüdischen Gemeinde in Laufersweiler wurde in den letzten Monaten das Studien- und Begegnungszentrum eingerichtet. Die offizielle Eröffnung wird im Juli sein.

Christof Pies, der Vorsitzende des Förderkreises Synagoge Laufersweiler, und seine Mitstreiter sind unermüdlich damit beschäftigt, das Projekt mit Leben zu erfüllen. Fast jeden Tag kommen Schulklassen, Gruppen und sonstige Interessierte in die Synagoge.

Klares Zeichen gegen rechte Gewalt setzen

Auch Sonja Wendling von der KGS Kirchberg ist seit Beginn des Jahres mit verschiedenen Arbeitsgruppen dort aktiv: "Die Schule will damit ein klares Zeichen gegen rechte Gewalt setzen." Während eine Gruppe sich mit Geo-Caching befasst, widmet sich eine andere der Anbringung von QR-Codes am Weg der Erinnerung, am jüdischen Friedhof und am Pfad der jüdischen Lyrik.

Auf Wunsch einer Projektgruppe der KGS Kirchberg wurde Harry Raymon, der in München lebt, nach Kirchberg und Laufersweiler eingeladen. Verschiedene Schüler stellen Fragen, eine andere Gruppe dreht einen Videofilm über den Besuch des Zeitzeugen. Für die meisten Schüler ist es der erste Kontakt mit einem Juden. Sehr aufmerksam hören sie dem Gast zu.

Harry Raymon erzählt, dass seine Familie in der Kappeler Straße ein Tuchgeschäft hatte. Aufgrund des Naziregimes habe sich seine Familie schon früh dazu gezwungen gefühlt, Deutschland zu verlassen. Auf die Frage einer Schülerin, was die Eltern dazu veranlasst hatte, machte er deutlich: "In der Zeit meiner Kindheit konnte man Kinder zwar sehen, aber nicht hören." Von seinen Eltern habe er nie eine Antwort auf die Frage bekommen.

Gerüche rufen Erinnerungen wach

Zusammen mit Harry Raymon gehen die Schüler durch Kirchberg. In der Kappeler Straße am Haus Nummer 5, erinnert sich Raymon: "Hier hatte meine Familie ihr Geschäft. Im Hinterhof stand ein Birnbaum, dort habe ich mit meiner Cousine Juliane gespielt." Auf die Frage einer Schülerin, "Denken sie positiv oder negativ an die Zeit in Kirchberg?", antwortet Raymon: "Das ist ein Teil meiner Biografie, ich persönlich habe keine schlechten Erinnerungen. Das Gehirn filtert, manchmal können Gerüche oder Melodien Erinnerungen hervorrufen."

Auf die Frage, wo er sich zu Hause fühle, antwortete der Gast, sein Zuhause sei zurzeit seine schöne Wohnung in München, und weiter: "Wenn ich in Amerika bin, fühle ich mich als Europäer und in Europa ist es umgekehrt, da fühle ich mich manchmal als Amerikaner." Auf die Frage, ob er seinen jüdischen Glaube aktiv lebe, antwortet Raymon: "Ich bin als Jude geboren, wurde als Jude erzogen und fühle mich als Jude. Ich halte allerdings nichts von Orthodoxie und gehe auch nicht in die Synagoge."

Am Haus Weber in Kirchberg angekommen, gibt es einen weiteren Stopp. Dort war das Wohnhaus der Familie Heymann. Harry Raymon erinnert sich, wie interessant es für ihn war, aus dem Fenster im ersten Stock zu schauen. Ein christlicher Feiertag, an dem die ganze Straße mit Blumen geschmückt war, habe ihn ebenso beeindruckt wie der Besuch von Hermann Göring, der im offenen Wagen durch die Straße gefahren sei.

Am Gedenkstein auf dem Marktplatz für die Opfer des Naziregimes liest der Gast die eingravierten Namen und fügt hinzu: "Israels hatten ein Hutgeschäft, auch die Familien Gerson und Frank habe ich gekannt." Und dann erzählt er: "Als mein Bruder seinen 80. Geburtstag feierte, habe ich an die Stadt Kirchberg geschrieben, mein Bruder hätte sich sehr gefreut, wenn man ihn nach Kirchberg eingeladen hätte, ich habe aber leider nie eine Antwort bekommen."

Alltag änderte sich auch für Kirchberger Juden spürbar

Auch am Platz, an dem die Synagoge stand, bleibt die kleine Gruppe stehen. Hier erzählt Raymon, wie es spürbar wurde, dass sich der Alltag für Juden änderte. Die Zusammenhänge habe er aber erst viel später begriffen. Irgendwann sei seine Mutter gekommen und habe gemeint, man müsse etwas gegen seine abstehenden Ohren unternehmen und habe sie ihm mit einem Pflaster am Kopf festgeklebt. Es gab noch viele Fragen, auch die Frage einer Schülerin, wann er festgestellt habe, dass er homosexuell ist, wurde bereitwillig beantwortet.

Projektleiterin Sonja Wendling machte allen Beteiligten ein großes Kompliment. Der vorbehaltlose, offene Umgang miteinander hatte alle begeistert. Da blieb der Lehrerin nur zu sagen: "Ich bin stolz auf euch." Auf die Frage des Gastes, was mit dem Projekt nun geschehe, antwortete Christof Pies, dass alle Gruppen und Personen, die in die Synagoge nach Laufersweiler kommen, ein Erinnerungsprojekt dort hinterlassen und dieses dann der Öffentlichkeit, entweder über das Internet oder bei einem Besuch, zugänglich gemacht wird. Davon konnte sich Harry Raymon am Nachmittag in der Synagoge in Laufersweiler dann selbst überzeugen.

Seit einigen Tagen ist die Internetseite des Förderkreises Synagoge Laufersweiler freigeschaltet: www.synagoge-laufersweiler.de